02.12.2019

"Wir verwalten die Überbleibsel"

Heute werden uns billig produzierte Kleider aus Entwicklungsländern zu Spottpreisen nachgeworfen. Kaum zu glauben, dass die Schweiz für die Textilproduktion einmal ein bedeutender Standort war: Die Nordwestschweiz, Südbaden und das Elsass waren einst einer der grössten Ballungsräume der Textilindustrie in Europa. In Basel dominierte die Herstellung von Seidenbändern, aus den dort ansässigen Färbereien hat sich später die chemische Industrie entwickelt.

In Liestal lebt textiles Schaffen
Was ist aus den Firmen und ihren Produkten geworden? Eine Antwort finden wir auf dem ehemaligen Fabrikareal von HANRO, einem weltbekannten Textilunternehmen, das bis 2016 in Liestal ansässig war. Heute werden die Fabrikhallen unter anderem von der Textilpiazza genutzt. Ein Verein, der das textile Schaffen lebendig halten will und verschiedene Näh-, Web- und Siebdruckateliers betreibt. Er bietet auch das Dach für den Verein „Textilpiazza Kultur“, der sich der Erhaltung von Kulturgütern verschrieben hat. „Wir verwalten hier die Überbleibsel“, sagt Dominique Rudin, Historiker und verantwortlich für die Kulturgütererhaltung. Angefangen hat der Verein mit der Erschliessung der HANRO-Sammlung, die heute in einer Halle auf dem Areal untergebracht ist und auf Anfrage besucht werden kann. Auch die Sammlung des Studiengangs HF Textil der Schule für Gestaltung in Basel ist dort untergebracht.

"Es sind Dokumente eines Industriezweigs, den es in der so Schweiz nicht mehr gibt"

Wichtiges Puzzleteil der Wirtschaftsgeschichte
Aktuell kümmert sich Dominique mit seinem Team um den Nachlass der Firma Senn & Co - Basels letzte Seidenbandfabrik und schweizweit eine der ältesten. Die Anfänge des Unternehmens reichen zurück bis vor fast 250 Jahren. Seit August 2018 ist der Verein Textilpiazza Kultur dabei, die rund zehntausend von der Familie Senn angelieferten Kartonschachteln zu bearbeiten. Darin befinden sich unzählige kleine Papierrollen, in denen jeweils ein Seidenband aufgerollt ist. Ein wichtiges Hilfsmittel, um sich eine Übersicht zu verschaffen, sind die Produktionsbücher der Firma, wo alle Bänder vermerkt sind. Welches Band weist ein besonderes Muster auf? Eine besondere Farbe? „Das Hauptmerkmal der Firma waren die Unibänder“, sagt Dominique. Sie seien daher für die Firmengeschichte besonders repräsentativ. Aber nicht nur Zier- und Nutzbänder, auch das gesamte administrative Archiv wird erschlossen, die Buchhaltung, Briefe oder Verwaltungsunterlagen.

„Die Sammlung ist für die Wirtschaftsgeschichte ein wichtiges Puzzleteil“, sagt Dominique. „Aber sie dokumentiert auch einen Industriezweig, den es so in der Schweiz nicht mehr gibt.“ Mit der Erschliessung des Nachlasses will der Verein Textilpiazza Kultur das Wissen wenigsten teilweise aufrechterhalten. www.textilpiazza.ch