13.02.2020

Der lange Weg zur recycelten Fassade

Ich stehe mit Oliver Seidel auf dem Lysbüchel-Areal, das gerade unter Hochdruck umgepflügt wird. Wo früher die Logistik von Coop abgewickelt wurde, klafft heute ein kahler Fleck. In der Baubranche ein ganz normaler Vorgang. Altes muss weg, in diesem Fall das Industrieareal von Coop – Neues entsteht, in diesem Fall ein Wohnquartier. Geht es nach Oliver und seinen Kolleginnen und Kollegen vom Baubüro in situ, kann es aber so nicht weitergehen. „Wir sollten mehr Bestehendes nutzen, um Ressourcen zu schonen.“

Grösstes Projekt bisher
Darin nimmt in situ und dessen Mitbegründerin Barbara Buser eine Vorreiterrolle ein. Wann immer möglich, arbeiten sie mit bestehenden Gebäuden und verwerten Dinge wieder, anstatt neue zu beschaffen. Zum Beispiel aus der Bauteilbörse, eine Art Brockenstube für Baumaterialien. Noch nie aber hat das Baubüro ein Wiederverwertungs-Projekt in der Grössenordnung wie im Lysbüchel umgesetzt. Im Auftrag von Immobilien Basel-Stadt gestalteten sie dort die Fassade eines künftigen Kunst- und Gewerbehauses.

Auf der Suche nach Material
„Als wir sahen, wie viel Material durch Abbrucharbeiten auf dem Areal anfällt, dachten wir: das muss man doch ausschöpfen“, erzählt Oliver, der das Projekt leitet. „So entstand die Idee, unsere Fassade komplett mit recycelten Materialien zu gestalten.“ Doch bald wurden sie auf den Boden der Tatsachen geholt. Aus alten Industriehallen fällt nicht unbedingt das gewünschte Material an. Dämmmaterial und Holz etwa fehlten fast gänzlich. Das meiste Holz, vor allem Sparren und Pfetten, holten sie aus anderen Rückbauten in Basel. Etwa 40 Prozent der Holzrahmenkonstruktion besteht nun aus gebrauchtem Holz, die restlichen 60 Prozent aus Holz des Schweizer Waldes.

Ähnlich erging es dem Architektenteam mit den Fenstern. Auf dem Areal gab es zwar viele, aber allesamt alte, dünne Fenster, zum Teil noch mit Asbest in den Fugen. Wo bekamen sie nun passende gebrauchte Fenster her? Das Team machte sich bei Fensterbauern auf die Suche. Tatsächlich hatten die meisten neuwertige Fenster in den Kellern, die sie aufgrund von Fehlverbauungen nicht mehr nutzen konnten. „So haben wir bei zwölf Fensterbauern aus der Nordwestschweiz über 200 Fenster gesammelt.“ Dass sie unterschiedlich gross sind, macht heute den Reiz der Fassade aus.

«Man darf nicht diskutieren, sondern muss zeigen, dass es möglich ist»

Doch es gibt auch Dinge, die direkt von dem Areal genutzt werden konnten: Zum Beispiel die Alu-Trapezbleche, mit denen die Fassade verkleidet ist. Oder die Boden-Gitterroste der ehemaligen Coop-Bäckerei, die nun vor den Fenstern als Absturzsicherung dienen.

Eine grosse Portion Beharrlichkeit
Heute ist Oliver stolz auf das Werk. Der Weg dahin war jedoch herausfordernd. Vor allem die Beschaffung des Materials, um die sie sich selber kümmerten, war ein riesiger Aufwand. Gleichzeitig mussten sie stets ihren Auftraggeber überzeugen. „Die meisten Bauherrschaften und Unternehmen wollen, dass der Bau reibungslos und im Zeitplan durchgeführt wird“, sagt Oliver. „Es wäre durchaus einfacher zu sagen: Wir machen alles neu.“ Gerade deswegen sei das Wichtigste bei der Umsetzung eines solchen Projekts die Beharrlichkeit. „Man darf nicht lange diskutieren, sondern muss zeigen, dass es möglich ist.“ Am Ende war auch die Bauherrschaft zufrieden und gab sogar zu, dass in dieser Bauart ein Teil der Zukunft liege.