29.06.2021

Hauptsache tanzen, immer, für alle

Bild: (c) Kostas Maros

Wie wird man eigentlich professionelle Tänzerin? „In der Regel, in dem einen die Eltern mit fünf Jahren ins Ballett schicken und die Kindheit und Jugend hindurch fördern, bis sie mit Anfang zwanzig bereit sind für die professionelle Karriere.“ Das sagt Rebecca Weingartner, 40 Jahre alt, Basler Choreografin und Tänzerin. Die Berufung sei meistens bereits vorbestimmt.

Bei ihr sei das anders gewesen: „Ich kam mit zwanzig Jahren spät zum Tanz.“ Und das auch nur zufällig, weil eine Freundin sie zu einer Tanzstunde mitnahm. Das war ihr Momentum: „Von da an wollte ich so viel tanzen wie nur irgendwie möglich.“ Später sicherte sie sich ein Stipendium und besuchte Tanzschulen in Zürich und Holland. Dabei war der Weg für Rebecca keinesfalls vorgespurt, wie das in Künstlerbiografien öfters der Fall ist. In Südkorea geboren, wuchs sie in Binningen in einer Blocksiedlung auf, als Tochter einer Hongkong-Chinesin und eines Schweizers. Der Vater ist Bäcker-Konditor, die Mutter Wirtin, beide hätten kaum Zugang zu Kultur gehabt.„Meine Mutter kommt an meine Vorführungen, sagt danach aber jedesmal, sie habe nichts verstanden“, erzählt Rebecca. Der Vater hingegen sei noch nie im Publikum gewesen. „Ich glaube, er fühlt eine soziale Barriere, eine Art Scham.“

"Ich glaube, mein Vater fühlt eine soziale Barriere, eine Art Scham."

Ihre Herkunft, die kulturelle wie die soziale, sei mit ein Grund, warum sie schon immer Kunst machen wollte, die allen zugänglich ist. Und die sich im Besonderen auch an verletzliche Personengruppen richtet. So arbeitet sie beispielsweise mit Kindern und aktuell mit Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung.

Eines ihrer jüngsten Projekte mit dem Titel „Equality!“, das sie gemeinsam mit ihrem Tanzpartner Benjamin Lindh erarbeitete, richtet sich an ein junges Publikum und thematisiert die Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Premiere fand im September 2020 statt und konnte noch vor 50 Menschen aufgeführt werden. Kurz danach war Schluss. Die Coronapandemie brachte das kulturelle Leben zum erliegen. Für Rebecca ein grosser Moment der Unsicherheit, der bald ihre Existenz als Tänzerin tangierte. „Auf einmal wurden die Vorstellungen nicht mehr verschoben, sondern abgesagt“, erzählt Rebecca. „Das konnte bedeuten, dass ein Stück, mit dem man mitunter viele Jahre beschäftigt war, keine Überlebenschance mehr hat.“ Damals fragte sie sich nicht nur, ob sie selbst als Künstlerin überleben wird, sondern auch, ob Kunst und Kultur generell überleben würden.

Wie ging sie mit den Zweifeln um? „Ich habe einfach immer weitergetanzt.“ Ihre Tanzstunden, die sie seit vielen Jahren unterrichtet, hätten immer stattgefunden. „Als die Tanzstudios schliessen mussten, haben wir draussen geprobt, bei Wind und Wetter.“ So ist sie sozusagen durch die Coronapandemie getanzt, bis sie im Frühjahr dieses Jahres erfuhr, dass sie die Gewinnerin des diesjährigen Kulturpreis Baselland ist. „Ich war einfach nur überrascht.“ Den Preis empfindet sie einerseits als Wertschätzung für die Tanzszene, die bereits seit fünf Jahren nicht mehr ausgezeichnet wurde. Andererseits als persönliche Genugtuung. „Ich habe jahrelang am Existenzminimum gelebt, da tut so ein Preis natürlich gut“, sagt Rebecca, und: „Es gibt mir die Bestätigung, dass es möglich ist, professionelle Tänzerin zu werden, auch wenn der Weg dafür nicht vorgezeichnet ist.“

Auch das Stück „Equality!“ das sich an ein junges Publikum richtet, hat die Coronapandemie überlebt: Nachdem es im Herbst vor reduziertem Publikum im Theater Roxy aufgeführt wurde, tourt es dieses Jahr durch die Schweiz und Berlin, bevor es im November wieder Heim ins Theater Roxy Birsfelden kommt.