22.11.2021

«Bewusstsein für die kreative Klasse schaffen»

kreaB streckt die Fühler in die Ferne aus. Dank unseres Geburtshelfer Frank Lemloh gibt es jetzt die Leipzig-Connection. Das Protokoll einer Anbandelung mit dem kreativen Sachsen.

Wie sind Kreative eigentlich anderswo so organisiert? Zum Beispiel in Sachsen. In Leipzig, Heimat von kreaB-Vorständin Silvia Wolff und kreatives Zentrum des Freistaats Sachsen hat sich die Kreativwirtschaft schon 2010 in einem Verein selbst-organisiert, als Kreativwirtschaft noch ein neues Buzzword war. Damals entstand auch in Basel die Initiative Kreativwirtschaft, angestossen vom Kanton, aber kaum mitgetragen von den adressierten Kreativen selbst. 2013 versandete die Initiative. Frank Lemloh, damaliger Leiter des ersten Gründerzentrums für Kreative ‹Stellwerk› postulierte schon früh die Selbstorganisation der Akteure und gab mit einer Bedarfsanalyse einen wichtigen Impuls zur Gründung von kreaB. Lemloh wirkt unterdessen in Leipzig und figurierte wiederum gewissermassen als Brückenbauer zu Kreatives Leipzig.

So wurde uns ein Austausch mit Christian Rost, langjähriger und inzwischen ehemaliger Vorstand von Kreatives Leipzig und Leiter des Landesverbands Kreatives Sachsen, an dessen Gründung er wesentlich beteiligt war, nahe gelegt. Er ist Chef- und vor allem Vollblut-Lobbyist der sächsischen Kreativwirtschaft.

Geplant war ein Interview, aber wenn man von Christian Rost etwas über Kreatives Leipzig wissen möchte, dann ist er kaum mehr zu bremsen und am Ende bleibt kaum eine Frage offen. Und so legt Christian einfach los und erzählt von den Kultur- und Design-Stammtischen, die es in Leipzig schon länger gab. Wo halt alle immer so etwas unter sich «in der Bubble» blieben. Bis 2010 das interregionale EU-Projekt ‹Creative Cities› in Leipzig eine Zeitungsente produzierte. 2,5 Millionen Euro sollten für die Kreativen in der Stadt bereitstehen. Tatsächlich sollten es dann nur 600’000 Euro sein.
«Bis dahin hatte die Stadt viel über die Kreativen geredet, aber nicht mit ihnen.» Auf jeden Fall war es Anlass genug, dass sich sieben Kreative, so viele sind in Deutschland zu Vereinsgründung nötig, zusammengetan haben und «Kreatives Leipzig» gründeten. «Die haben einfach mal eingeladen, so nach dem Motto ‹Hallo, es gibt uns. Wir wissen zwar noch nicht, was wir machen sollen, aber macht doch mit.› Bis Ende Jahr waren es schon über 50 Mitglieder», erzählt Christian. Der diplomierte Geograf war auch einer dieser Mitglieder der ersten Stunde.

Erstmals habe man sich branchenübergreifend getroffen. Im Gründungsjahr folgten Mini-Hearings in allen Branchen, woraus sogleich ein Buch entstand. «Das ist bis heute der ehrlichste Kreativ- und Kulturwirtschaftsbericht, den es gibt in Deutschland», sagt Christian. Das schaffte Identifikation, quasi ein Klassenbewusstsein und Wahrnehmung über die Grenzen der Stadt.

«Es wurde rasch klar, dass der Leipziger Verein nicht das Ende der Fahnenstange ist und Förderung auf Landesebene passieren muss.»
‹Wir Gestalten Dresden›, ‹Kreatives Chemnitz› entstanden, vernetzten sich untereinander und 2015 schliesslich entstand der Landesverband Kreatives Sachsen, dessen Leitung Christian inne hat.

Natürlich war das keine lineare Entwicklung. Christian stiess 2013 in den Vorstand von Kreatives Leipzig, als die erste Generation schon ein wenig ausgebrannt gewesen sei. Die neuen trieben die Vernetzung weiter voran, während die Mitglieder das Programm weitgehend selbst bestritten. «Es gab einen Call to Action, alle Mitglieder mussten einmal einladen», erzählt er. Die Einladungen sind ein vergleichbares Format zum Salon des Createurs von kreaB. Dazu gab es einen monatlichen Stammtisch. «Wir hatten viel Programm mit wenig Aufwand gemacht», sagt Christian. Peer-to-Peer Netzwerke seien mitunter das Wertvollste, was so ein Verband bieten kann. In Netzwerk- und Weiterbildungsveranstaltungen gehe es in erster Linie darum, voneinander zu lernen.

Daneben machte der Vorstand von Kreatives Leipzig was Christian «öffentlichkeitswirksame Arbeit durch Wirksamkeit» nennt. «Wir haben nicht gefordert, sondern den damaligen SPD-Landeschef gefragt, was können wir für euch tun? Dann wurden wir eingeladen, auch von CDU, Junge Union, Grüne, da gab es ein offenes Interesse. In Sachsen ist Strukturwandel ein grosses Thema, da suchen alle nach neuen Ideen.» Das kam an. 2014 war das sächsische Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft, ein Kernanliegen des Vereins, bereits Teil des Koalitionsvertrags der neuen Landesregierung. «Mehrere Ministerien wurden da mit Leuten besetzt, die wir schon kannten.»

Das Zentrum wurde 2016 dann Realität. «Das war damals ein Novum. Ein solches Zentrum aus der Branche für die Branche, das auch selbst getragen wird, gab es in Deutschland noch nicht.»

Christian «ging voll ins Projekt», wie er sagt, und übergab seiner Partnerin seine Anteile an der gemeinsamen Firma. Seither ist er vollamtlicher Lobbyist für die Kreativen in Sachsen. Der Landesverband hat inzwischen sechs Vollstellen und wird primär durch staatliche Mittel finanziert, aber auch von den Vereinen alimentiert.

In der Corona-Krise hat sich diese Struktur bewährt. Kreatives Sachsen war quasi die Standleitung in die Ministerien und konnte die Bedürfnisse der Basis mit den lokalen Vereinen wie Kreatives Leipzig spiegeln. Im Landesverband wurden soeben auch zwei neue vollfinanzierte, projektbezogene Stellen für Soloselbständige und Populärmusik geschaffen, die von der Pandemie wirtschaftlich am härtesten getroffen wurden.

Verglichen mit Sachsen steckt die Vernetzung der Kreativwirtschaft in der Schweiz noch in den Kinderschuhen. Es gibt zwar verschiedene Initiativen auf lokaler und überregionaler Ebene, aber noch handeln diese Akteure nicht vernetzt. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass viele Akteure der Kreativwirtschaft ohnehin schon in Branchenverbänden organisiert sind. In den neuen Bundesländern sei der Organisationsgrad viel weniger hoch als in den alten Bundesländern, sagt Christian. Das gab der Leipziger Initiative möglicherweise zusätzlichen Schub. Obwohl es anfänglich auch Vorbehalte gab, reifte rasch die Erkenntnis, dass das Gemeinsame alle weiterträgt.

«Man ist Gemeinsam weniger einsam, das zählt immer noch.»